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Impfstoffhersteller stellen sich in der Corona-Krise dem Zeitdruck

Eile mit Weile

Fotos: Hartmut Bösener, Sanofi-Pasteur

Das Rennen um einen Impfstoff gegen Covid-19 ist in vollem Gange. Auch wenn es immer wieder Meldungen darüber gibt, welcher Stoff wann verfügbar sein könne: Realistisch scheint derzeit die Jahresmitte 2021. Das Ärztemagazin hat exklusiv mit den Verantwortlichen zweier namhafter Impfstoffproduzenten gesprochen:

IDT Biologika mit Sitz in Dessau ist eines der drei deutschen Unternehmen, die an einem Corona-Impfstoff forschen und dafür von der Bundesregierung Fördermittel erhalten haben. Das familiengeführte Unternehmen ist seit vielen Jahrzehnten auf die Impfstoffproduktion spezialisiert. Angesichts der intensiven Auseinandersetzung der Medien mit dem Coronavirus und dessen möglicher Eindämmung und der Erwartung, die bei vielen Menschen besteht, stellt Dr. Andreas Neubert, Chief Scientific Officer bei IDT Biologika, eines klar: „Weder wir noch die anderen Hersteller lassen uns unter Zeitdruck setzen, auch wenn das öffentliche Interesse immens ist. Die Sicherheit der Menschen steht an oberster Stelle und wir müssen ausschließen, dass ein Impfstoff gefährliche Nebenwirkungen hat.“


„Im Tierversuch erzielte die mRNA-Vakzine von Sanofi Pasteur bereits die gewünschten Immunreaktionen.“


Zuletzt war in zahlreichen Medien davon ausgegangen worden, dass es bereits gegen Ende des Jahres 2020 einen Impfstoff geben werde. Dabei muss allerdings zwischen unterschiedlichen Ansätzen differenziert werden: Dem klassischen Impfstoff, bei dem eine Erbinformation in ein ungefährliches Trägervirus eingebracht wird, oder einem mRNA-Impfstoff. Letztere lassen sich schneller und in großen Mengen herstellen, doch gibt es hier noch viele Unwägbarkeiten – etwa die, ob sich damit eine Immunisierung genauso erreichen lässt wie mit herkömmlichen Lebend-Impfstoffen. „Bei den klassischen Impfstoffen, wie wir sie auch gegen Mumps, Masern oder Röteln einsetzen, wird ein abgeschwächtes Impfvirus zur Immunisierung eingesetzt. Moderne gentechnisch hergestellte Vektorimpfstoffe nutzen die genetische Information eines Oberflächenproteins des Krankheitserregers, die dann in ein Trägervirus eingebracht wird. Ein Vektorimpfstoff kann praktisch in einer Zellkultur unendlich vermehrt werden und wird dann, entsprechend gereinigt, als Impfstoff verwendet. Auf diese Weise wird der Impfstoff biologisch produziert, was allerdings Zeit benötigt“, sagt Dr. Oliver Thomas, Head of Medical bei Sanofi-Pasteur. Sein Unternehmen rechnet damit, dass es ab Mitte 2021 Impfstoffdosen aus dieser Entwicklung gegen das Coronavirus in großer Zahl produzieren kann. Das wiederum hängt von den drei klinischen Testphasen ab, die jeder Impfstoffkandidat durchlaufen muss. „Da können wir tatsächlich einiges an Zeit sparen, aber nicht, indem wir die Phasen verkürzen oder auslassen! Wir überlappen vielmehr die Abläufe und erwarten, dass wir im Dezember in Phase drei starten können“, so Oliver Thomas. Bei IDT Biologika wurde gerade erst die Phase 1 gestartet. „Das mag spät klingen, aber danach erfolgen in hoher Dynamik die nächsten klinischen Phasen, trotzdem setzen wir natürlich auf Sicherheit. Wir rechnen mit der Zulassung und Produktion unseres Impfstoffs am Ende des Jahres 2021.“

Bleiben also noch die so genannten mRNA-Impfstoffe, bei denen auch chemische Reaktionen in der Produktion eingesetzt werden, und die darum als heiße Kandidaten für die Zulassung zu Jahresbeginn gelten, auch bei Sanofi-Pasteur:

Eile mit Weile Image 2

„Ziel ist es, Menschen direkt mit diesem Botenstoff zu impfen in der Hoffung, dass die Körperzellen des Menschen selbst das Antigen produzieren, das das Virus neutralisiert. Damit sparen wir also den Umweg über die Produktion in Bioreaktoren“, schildert Oliver Thomas. Eine gute Nachricht kann sein Unternehmen bereits vermelden: Im Tierversuch erzielte die mRNA-Vakzine von Sanofi Pasteur bereits die gewünschten Immunreaktionen. Dennoch stellt er klar: „Es kommt letztlich nicht darauf an: Wer wird Erster? Denn bei acht Milliarden Menschen brauchen wir viele Hersteller, die diesen Bedarf decken müssen.“ Auch Andreas Neubert von IDT Biologika gibt zu bedenken, dass mRNA kein Wundermittel sei: „Damit wird im Vergleich zu Lebendimpfstoffen sozusagen eine andere Art der Immunität ausgebildet. Aber welche Art der Immunität wir letztendlich erzielen müssen, wissen wir alle noch nicht. Es kann sein, dass die mRNA-Stoffe sehr gut funktionieren. Es kann aber auch sein, dass eher ein konventionelles Produkt wie das unsere Vorteile bietet. Vor allem, wenn wir wieder nachimpfen müssen, so wie bei der Grippe.“


„Die Sicherheit der Menschen steht an oberster Stelle und wir müssen ausschließen, dass ein Impfstoff gefährliche Nebenwirkungen hat.“


Denn natürlich stellt sich auch die Frage, ob gegen Corona künftig jährlich geimpft werden muss oder eine Impfung mehrere Jahre ausreicht. „Bisher sprechen die Anzeichen für die letztere Annahme, denn offenbar mutiert das Coronavirus binnen eines Jahres nicht so extrem wie Grippeviren“, so Sanofi-Experte Oliver Thomas.

Eine Rolle bei der Impfstoffforschung spielt auch, dass verschiedene Impfstoffkonzepte unterschiedliche Schutzmechanismen ausbilden, schildert Andreas Neubert: „Wir messen Immunität auf der einen Seite über Antikörper.

Sie blocken das Virus und verhindern die Aufnahme durch die Zellen, also die Infektion. Es gibt aber auch zelluläre Mechanismen, die infizierte Zellen beseitigen und eine Erkrankung schneller abheilen lassen. Es ist also nicht so, dass Impfstoffe mit der gleichen Indikation einen gleichartigen Schutz vermitteln. Dazu kommt, dass auch unterschiedliche Applikationswege das Immunsystem unterschiedlich ansteuern können.“ Kompliziert wird das Ganze zusätzlich, weil das Coronavirus sich zunächst in Zellen auf der Schleimhaut vermehrt, die immunologisch nicht so gut geschützt sind. Dann greift das Virus auf die Zellen in der Lunge und in den Blutgefäßen über. Hier sind schützende Antikörper dann von Vorteil.

Sanofi-Pasteur will nach eigenen Angaben bis Ende 2021 rund eine Milliarde klassische Impfdosen produzieren, darunter einen beträchtlichen Teil am deutschen Standort in Frankfurt-Hoechst. IDT Biologika als reines Entwicklungsunternehmen hingegen setzt darauf, dass sich rasch industrielle Partner für die Massenproduktion finden werden, wenn der Impfstoff aus Dessau seine bereits in Tiermodellen exzellente Wirksamkeit beim Menschen bewiesen hat. Detlev Karg

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