27.09.2017 / Stormarn
Gewalt, Hunger, Durst, Missbrauch
Wovon unbegleitete Flüchtlingskinder traumatisiert sind
Viele unbegleitete junge Flüchtlinge landen im Kreis Stormarn. Zurzeit leben 82 von ihnen im Kinder- und Jugendhaus St. Joseph in Bad Oldesloe. Dort werden sie zunächst aufgenommen, bekommen Essen und Unterkunft. Dann versucht man, sie langsam mit den hiesigen Verhältnissen und der deutschen Sprache vertraut zu machen und möglichst bald in den Schulunterricht zu integrieren. Ihrer Seele ist damit aber nur bedingt geholfen. Denn sie haben erst zu Hause und dann auf ihrer Flucht Schreckliches erlebt, waren oft Schleppern und Gewalt ausgeliefert. „Schon in ihrer Heimat haben sie unter Bombardierung, Entführungen, Angst, Unsicherheit und Mangelzuständen gelitten. Sie konnten nicht in die Schule gehen, keine Freundschaften schließen. Viele mussten mit an - sehen, wie Familienangehörige oder Freunde vor ihren Augen getötet wurden“, erzählt Areej Zindler, Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie von der Flüchtlingsambulanz des UKE. Sie behandelt mit Unterstützung von Steffi Grafs Stiftung „Children for Tomorrow“ auch unbegleitete Jugendliche aus Stormarn.
„Auf der Flucht werden die jungen Menschen zum Teil sexuell missbraucht oder müssen hart arbeiten, bevor sie überhaupt mitgenommen werden“, berichtet sie. „Manche mussten erleben, wie andere, mit denen sie aufgebrochen sind, unterwegs sterben. Teilweise sind sie bis zu drei Wochen auf einem Boot unterwegs, mit Toten an Bord, umgeben von Exkrementen und ohne Schutz von Vertrauenspersonen. Wie soll man das alles vergessen?“ Das Ausgeliefertsein und die Ausbeutung sind ohne ihre Familien noch viel schlimmer und sie leiden zusätzlich unter existenziellen Mängeln wie Hunger und Durst. Die Folgen sind Traumata: Unruhe, Flashbacks, schlechter Schlaf, Albträume, Appetit- und Freudlosigkeit. Die Betroffenen ziehen sich zurück, sind ängstlich, ständig auf der Hut und können sich nicht konzentrieren. Sie wissen nicht, wie sie weitermachen sollen.
„Was siehst du?“, fragt Aschkan Faghir Afghani, Systemischer Familientherapeut in der evangelischen Beratungsstelle Stormarn, diese Jugendlichen dann. Und die Antwort ist: „Einen traurigen Jungen. Das Licht interessiert mich nicht, ich will in die Dunkelheit.“ Doch manchmal ist Heilung möglich. Das Trauma bleibt, aber der Umgang damit wird leichter. „Wir können mit diesen Kindern eine solide Grundlage schaffen, indem wir sagen: Was glaubst du, dass deine Familie für dich möchte: dass du gesund bleibst, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst. Sei geduldig. Trauer braucht Zeit. Können wir nicht versuchen eine Kerze anzuzünden, die wärmt und Licht bringt?“ Irgendwann sehen diese entwurzelten jungen Menschen dann ihre Fähigkeiten und Stärken. Da kann man ansetzen. xzy
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