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31.08.2017 / MENSCHLICH Leben mit Handicap

Wenn das Leben schlagartig anders wird

Geduld ist Andreas Lange nicht in die Wiege gelegt worden. Früher ging er leicht an die Decke, wenn ihm etwas querkam. Früher – das war vor seinem Hirninfarkt, der ihn 2004 wie ein Blitz im Kopf traf

Andreas Lange ist viel unterwegs. Bei gutem Wetter fährt er mit seinem Rolli schon mal von Bramfeld bis in die City Fotos: Stefan Albrecht, Gisela Köhler 
Andreas Lange ist viel unterwegs. Bei gutem Wetter fährt er mit seinem Rolli schon mal von Bramfeld bis in die City 
Fotos: Stefan Albrecht, Gisela Köhler 
Was ihm wichtig ist, hält Andreas Lange einfach mit seiner Kamera fest
Was ihm wichtig ist, hält Andreas Lange einfach mit seiner Kamera fest
An Details kann er sich nicht mehr erinnern. Nur daran, dass er im Krankenhaus wieder zu sich gekommen ist und nichts mehr so war wie vorher. Nach langen Aufenthalten im Krankenhaus und in der Reha lebt der Landmaschinentechniker seit 2009 in einer Wohngemeinschaft in Bramfeld, die zum Bereich Teilhabe mit Assistenz des Rauhen Hauses gehört.

Ein Schicksalsschlag kann Menschen verzweifeln lassen – nicht jedoch Andreas Lange. Geduldiger sei er durch die Erkrankung geworden, findet er. Und nachsichtiger mit seinen Mitmenschen, die sich erst auf ihn einstellen müssen. Denn der 48-Jährige kann nicht mehr sprechen. Mit viel Energie und Pfiffigkeit sowie einer gehörigen Portion Humor hat er sich darauf eingestellt, anders zu kommunizieren. Das war deshalb schwieriger als vermutet, weil seine rechte Seite gelähmt ist. Mit der Hand schreiben kann er darum nicht, nur am PC klappt es einigermaßen.

In seinen Taschen führt er deshalb diverse Zettel mit sich, die erklären, welche Einschränkungen er hat oder wo er wohnt. Und wenn ihm etwas wichtig ist oder im Alltag auffällt, dann fotografiert er es mit seiner Digitalkamera, die er extra dafür angeschafft hat. So kommt er auf seine Art ins Gespräch und nimmt seinem Gegenüber schnell die Befangenheit.

Mobilität neu entdecken

Die Herausforderungen des Alltags meistert Andreas Lange mit ambulanter Unterstützung – und einer bemerkenswerten Ruhe. An vier Tagen in der Woche baut und repariert er in einer Werkstatt Industrie-Kaffeemaschinen. Zur Arbeit gelangt er alleine mit dem Bus. Seine Leidenschaft sind nach wie vor Autos und Technik. Früher hatte er einen „Mercedes-Flitzer“. Die Freiheit, einfach mal ins Blaue zu fahren, fehlt ihm sehr. Doch er macht das Beste daraus und fährt mit seinem Rolli schon mal bis in die City – das sind immerhin gut zehn Kilometer.

Die Diplom-Sozialpädagogin Cornelia Petersen hat beim Rauhen Haus den Bereich für Menschen mit erworbenem Hirnschaden aufgebaut Foto: Gisela Köhler
Die Diplom-Sozialpädagogin Cornelia Petersen hat beim Rauhen Haus den Bereich für Menschen mit erworbenem Hirnschaden aufgebaut 
Foto: Gisela Köhler
Der Mensch im Mittelpunkt

Cornelia Petersen vom Rauhen Haus ist voller Bewunderung für ihn – und auch ein bisschen stolz. Die Diplom-Sozialpädagogin hat vor 20 Jahren als Leiterin in der damaligen Behindertenhilfe der Stiftung den Bereich Hilfen für Menschen mit Hirnverletzungen mit aufgebaut und war auch an der Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnen für Menschen mit erworbener Hirnschädigung beteiligt. „Damals gab es dafür im Norden keine Vorbilder“, so die 57-Jährige. „Wir haben die ambulanten Wohngemeinschaften für diesen Personenkreis neu erfunden.“ Dort steht nicht das System, sondern der Mensch im Mittelpunkt: „Wir wollen dabei behilflich sein, eine vielleicht neue oder veränderte Form von Lebensfreude zu entwickeln“, sagt Frau Petersen, die sich bei ihrer Arbeit auf einen Stab von hoch motivierten und gut qualifizierten Mitarbeitern verlassen kann. „Die Arbeit ist besonders, weil wir es mit Menschen zu tun haben, die nicht mit angeborenen Einschränkungen zu uns kommen, sondern mitten aus ihrem Alltag gerissen wurden. Da ist die Erwartung, dass alles wieder gut wird, sehr hoch.“

Individuelle Lösungen sind bei dieser Klientel besonders gefragt, denn keine Lebenssituation ist wie die andere. Manche können in die Familie zurück und werden dort vom Rauhen Haus unterstützt, andere ziehen die Gemeinschaft mit Ihresgleichen vor. „Unser System unterstützt Veränderungen, weil sich oftmals auch die Fähigkeiten weiterentwickeln und sich das Leben ständig ändert“, sagt Cornelia Petersen. „Wir begleiten auf allen Stationen des Weges.“ Eine Hirnverletzung verändert nicht nur das Leben des Betroffenen, sondern auch das seiner Angehörigen. „Da kommt oftmals ein anderer Mensch zurück“, weiß Cornelia Petersen. Ein wichtiger Aspekt der Arbeit sei es daher ebenfalls, die Angehörigen aufzuklären, zu begleiten und zu beraten.

Das Rauhe Haus

Die Aufgaben des Rauhen Hauses umfassen die Bereiche Arbeit und Bildung, Freizeit und Kultur. Rund 450 Menschen werden in Hamburg und Südholstein betreut. Die Stiftung im Bereich Teilhabe mit Assistenz betreut seit über 25 Jahren Menschen mit Behinderung. Das Angebot reicht von stationärer Betreuung über ambulante pädagogische Betreuung sowohl in Wohngemeinschaften als auch im eigenen Wohnraum.

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