Auch wer sich niemals Gemäldeausstellungen anschaut, kennt die „Mona Lisa“. Der Ruhm des Leonardo da Vinci begründet sich für die Nachwelt durch seine Malerei. Für den Künstler war aber die Mechanik die höchste Disziplin menschlichen Schaffens, bei der Gott über die Schulter zu schauen sei. Er suchte auf wissenschaftliche Weise nach Antworten zu einer Zeit, als bei allen Fragen auf den Glauben verwiesen wurde. Die Zeichnungen des Künstlers, mit ihren vielfältigen Perspektiven, Detailausschnitten und Kommentaren selbst Wunderwerke ihrer Zeit, wurden erst spät wiederentdeckt. Vieles war in alle Welt verstreut, verstaubte unerkannt in Bibliotheken oder galt als verloren.
Was man gefunden hat, wurde vor einigen Jahren in sorgfältiger Schreinerarbeit für eine Ausstellung umgesetzt, die jetzt in Reinbek gezeigt wird. Objekte wie ein Wechselgetriebe oder der doppelte Schiffsrumpf, aber auch ganze Maschinen sind zu erkunden. Zum Beispiel eine Grabungsmaschine, ein Schaufelbagger, Fluggeräte und vieles mehr. Das sogenannte Fahrzeug mit Eigenantrieb, das erste Auto der Welt also, hat eine vertrackte Mechanik, die in fast jedem Detail einsehbar, aber trotzdem nicht leicht zu verstehen ist. Kein Wunder, denn die Antriebskraft entspringt einer Spiralfeder, dem einzigen in einem Gehäuse verborgenen Teil. Leonardos Kühnheit war grenzenlos, stieß aber gelegentlich an praktische oder natürliche Grenzen:
Eine gewaltige Armbrust mit 45 Metern Spannweite wollte er bauen, ein gigantisches Pferd aus Bronze und eine Art Helikopter, der sich mit Menschenkraft in die Luft erheben sollte.
Eine gewaltige Armbrust mit 45 Metern Spannweite wollte er bauen, ein gigantisches Pferd aus Bronze und eine Art Helikopter, der sich mit Menschenkraft in die Luft erheben sollte.
Elke Güldenstein, für Kultur im Reinbeker Schloss verantwortlich, hat die Ausstellung nach Reinbek geholt. Passenderweise, findet sie, denn auch wenn das Schloss erst 1576 fertiggestellt war, als Leonardo (1452-1519) schon nicht mehr lebte, so verbindet beide doch der Geist der Renaissance. Man wünscht sich viele Kinder und Jugendliche als Besucher der Ausstellung. Auch die ganz junge Generation kann hier vielfach entdecken, wie Technik, die heute für selbstverständlich genommen wird, quasi aus der Taufe gehoben wurde. Viele der Objekte dürfen angefasst und an Kurbeln, Seilzügen oder Drehrädern bewegt werden.
Es könne bei dieser interaktiven Entdeckungsreise auch ein Gefühl für zeitgeschichtliche Entwicklung wachsen, sagt Frau Güldenstein. Susanne Gutsche vom Ausstellungsveranstalter Galerie F will Besucher für die Mechanik und die Geschichte hinter den Exponaten begeistern. Die Führungen durch die Ausstellung, die sie geschult hat, vermitteln Wissen in diesem Sinne. Die Umsetzung der Skizzen in die Wirklichkeit erforderte intensive Recherchen, da Teile verloren gegangen oder in Privatarchiven verschwunden waren. In der Ausstellung ist jedem Exponat die entsprechende Zeichnung aus den Manuskriptsammlungen zugeordnet.
Das Universalgenie aus der Toskana
Das Universalgenie aus der Toskana
1965 fand man die Skizzen des Konvoluts „Codex Madrid“ von Da Vinci in der spanischen Nationalbibliothek und plötzlich las man überall, Leonardo habe so ziemlich alles schon vor Jahrhunderten gewusst. Die Wissbegier des Mannes aus Vinci war in jedem Fall gewaltig. Er durchpflügte das damalige Weltwissen und machte sich daran, es zu erweitern. In der Architektur und der Ingenieurskunst erbrachte er große Leistungen und auch auf vielen weiteren Gebieten. Leonardo nahm sich der Probleme der Mechanik, der Akustik und der Hydrodynamik an und ersann verheerende Kriegswaffen. Als man seine anatomischen Zeichnungen entdeckte, war deren Wissensstand aber längst ein zweites Mal errungen worden.
Hat er alles erfunden? Nein nicht alles. Manches wurde dem Universalgenie vorschnell zugeschrieben; er übernahm in Wahrheit vieles von anderen. Manche seiner Ideen wurden aber auch ein zweites Mal gedacht. Albert Einstein, dem man als Beamter des Patentamts in Bern übrigens nur mittelmäßige Begabung bescheinigte, hatte 1904 über das Patentrecht einer automatischen Raketensteuerung zu entscheiden. Um dieses stritt sich ein Deutscher mit einem Amerikaner. Einstein entschied zugunsten des Deutschen, aber einem Italiener hätte Recht und Ehre viel eher zugestanden. Leonardo hatte die Idee fünfhundert Jahre zuvor entwickelt. Die Werke des Künstlers sind heute noch eine Quelle der Inspiration; er forderte in seinen Notizen die Menschen auf, die Geheimnisse des Lebens zu erforschen: „Kommt, ihr Menschen, die Wunder zu sehen, die man bei solchen Studien entdeckt.“ ssp