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Motorrad in Hamburg

Hamburger Detlev Louis: Der Motorrad-Mann

Der Hamburger Detlev Louis baute Europas größten Händler für Zubehör auf. Er wäre heute 100 Jahre alt

Detlev Louis 1938 auf seinem ersten Motorrad – einer BMW-R51.
Detlev Louis 1938 auf seinem ersten Motorrad – einer BMW-R51.
Kriegsende, Mai 1945. Es war die Stunde null. Deutschland lag in Schutt und Asche. Nach und nach erwachte auch Hamburg zu neuem Leben. Mit einer Schottschen Karre, einem Holzgefährt mit einer Achse und zwei Rädern, zog ein junger Mann durch die Straßen seiner Geburtsstadt, von Hoffnung und Erfolgshunger getrieben. Überall Trümmer.

Detlev Louis suchte nach alten Motorradteilen und nach Gas zum Schweißen. 75 Jahre ist das her. In einer Garage nahe der Außenalster wurde leidenschaftlich geschraubt und fantasievoll gewerkelt. Motto: Aus drei alten mach eine neue Maschine. Es war der Startschuss für einen Berufsweg auf der Überholspur, für eine hanseatische Unternehmergeschichte erster Klasse.

Mit hoher Drehzahl ging es voran. 1946 wurde Motorradgeschichte geschrieben – in Hamburg und weit darüber hinaus. Drei Jahre vor Gründung der Bundesrepublik Deutschland übernahm Detlev Louis eine kleine Firma in Alleinregie, die er acht Jahre zuvor gemeinsam mit einem Partner gegründet hatte. Nachdem er seine Karriere als Motorradrennfahrer wegen des Krieges stoppen musste, konnte er in der eigenen Firma sowie am Lenker nun wieder Vollgas geben.

Bis zu seinem Tod im Herbst 2012 im Alter von 93 Jahren schuf Louis quasi aus dem Nichts Europas größten Anbieter für Motorradkleidung und Zubehör. Von null auf hundert. In der Welt des Motorrads ist der Name „Louis“ heute unverändert ein Begriff mit gutem Klang. Über Zahlen spricht das Unternehmen mit aktuell 1900 Mitarbeitern und 85 Filialen auch nach dem Verkauf an den US-Investor Warren Buffett 2015 gar nicht gerne. Kenner schätzen, dass die Detlev Louis Motorrad-Vertriebsgesellschaft mbH, so die offizielle Firmierung, mit den ausländischen Töchtern pro Jahr mehr als 250 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. „Ein Rennen wird mit dem Kopf gewonnen“, wusste Detlev Louis – aus Erfahrung. 1919, im Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs, in einer gutbürgerlichen Familie zur Welt gekommen, erlebte Detlev Louis als Kind auf der Uhlenhorst turbulente Zeiten. Sein Vater Bruno Louis, ein promovierter Anwalt mit Kanzlei am Rathausmarkt, war nicht nur beruflich erfolgreich. Er übte mit „rasender Begeisterung“ ein ungewöhnliches Hobby aus. Der Jurist fuhr Autorennen, damals etwas außerordentlich Exklusives. Diese Begeisterung für alles, das sich dreht und Tempo hat, „vererbte“ er später an seinen Erstgeborenen Detlev.
 
Detlev Louis 2008 mit einer Norton-Maschine aus seiner Sammlung. 
Detlev Louis 2008 mit einer Norton-Maschine aus seiner Sammlung. 
Dieser startete im Wirtschaftswunderland kraftvoll durch. 1955 zog der kleine Louis-Motorradladen von der Rosenstraße in der Innenstadt an die Grindelallee. Zwei Jahre später arbeiteten schon sieben Angestellte für Louis. 1960 eröffnete er an der Rentzelstraße das seinerzeit größte Motorradhaus Deutschlands. Als alle Welt den Abgesang aufs Motorrad anstimmte und das Hohelied auf das Automobil sang, glaubte Detlev Louis unbeirrt an das Potenzial edel gestylter, motorisierter Zweiräder. Detlev Louis gab unbeirrt Gas. 1964 startete er den Versandhandel: Der erste Louis-Katalog erschien. Der Mann war ein Visionär. Ideen folgten Taten.

Unternehmerisch ging es auf der Überholspur weiter. Dem Vertrieb von Honda-Motorrädern folgte der Generalimport von Kawasaki. Parallel zum Vertrieb von BMW-Maschinen wurden Zweiräder der Firmen Laverda und Malaguti aus Italien importiert. Das Geschäft brummte im Einklang mit dem satten Sound der Motoren. 1977 ließ Gründer Detlev Louis an der Süderstraße eine neue Unternehmenszentrale errichten. Sieben Jahre darauf entstand ein paar Hausnummern weiter erneut Deutschlands größtes Motorradgeschäft. Stillstand war nicht nach dem Gusto des Detlev Louis.
 
Die Louis-Filiale an der Rosenstraße im Jahr 1946. Fotos: Andreas Laible / Archiv Louis
Die Louis-Filiale an der Rosenstraße im Jahr 1946. Fotos: Andreas Laible / Archiv Louis
Nach Dekaden des Booms trennte sich der Firmenchef Mitte der 1990er-Jahre schweren Herzens vom Motorradverkauf, als Zubehör und Kleidung besser liefen, als Konzentration auf das Wesentliche gefragt war. Bald zeigte sich: Erneut bewies er einen exzellenten Riecher.

Längst war er finanziell ein gemachter Mann. Und längst hatte er mit seiner Ute privates Glück gefunden. Hier wie da blieb Detlev Louis seinem bodenständigen Naturell treu – und seiner Leidenschaft für Motorräder. Zeitlebens war er ein klassischer Schrauber alter Schule. Dann zog er seinen Overall an, kniete sich auf den Boden seiner Garage, griff zu den Werkzeugen und legte Hand an. „Es riecht nach Marzipan“, sagte er in seiner unnachahmlichen Art, wenn er ein faszinierendes Motorrad erblickte und diese Melange aus Öl, Benzin und Reifengummi witterte.

Bestens erhalten sind Fotoaufnahmen aus aktiven Zeiten auf den Rennpisten im In- und Ausland. 1939 belegte der 20 Jahre alte Detlev Louis beim Stadtparkrennen auf einer Norton Platz vier – vor 80.000 Zuschauern. Durchschnittsgeschwindigkeit: 110,6 Kilometer, und das auf einer kurvigen, teilweise mit Kopfsteinpflaster ausgestatteten Piste. Da brauste das Risiko mit. Detlev Louis setzte sich bei etwa 70 Wettbewerben an den Lenker, fuhr riskant, aber niemals wie ein Hasardeur, sicherte sich serienweise Pokale und andere Trophäen.

Sie werden immer noch in Ehren gehalten. Die Motorrad-Tradition lebt. Und wie. Es ist alles andere als ein Zufall, dass vor dem Hauptgebäude der Firma Louis unverändert ein riesiger Stein liegt. Er stammt aus Niebüll in Nordfriesland und ist ein Geschenk von Detlev Louis‘ Ehefrau Ute von Anfang der 1990er-Jahre. Ute Louis pflegt die Erinnerung an ihren verstorbenen Mann – mit Herzblut. Im Steinbrocken eingraviert ist ein einziges Wort, das sehr viel sagt: „heute“. Dabei handelt es sich um das Credo des Unternehmers Detlev Louis. Frei übersetzt heißt das in etwa: „Nicht lange schnacken, jetzt handeln. Möglichst noch heute.“ Text: Jens Meyer-Odewald
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