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Ein Erfahrungsbericht von Hauke Schrieber, Vater eines Kindes mit Down-Syndrom

Förderschule in Bahrenfeld: Anton, ein Einzelschicksal?

Anton (14) besucht die achte Klasse einer Förderschule in Bahrenfeld. Foto: privat

Unser Sohn, Ende 2005 mit dem Down-Syndrom geboren, war kaum sieben Jahre alt, als er seinen Namen und den einer Freundin plötzlich auf eine Spielzeugtafel schrieb und uns damit überraschte. Und stolz machte. Bald sollte er eingeschult werden. In einer integrativen Grundschule in Altona, der ein hervorragender Ruf vorauseilte: jahrzehntelange Erfahrung in Inklusion, tolle Lehrer und Erzieher. 2011 Gewinner des Hamburger Bildungspreises. Wo, wenn nicht auf dieser Schule, sagten wir uns im Sommer 2013, würde Anton gut aufgehoben sein, um Freude an einem, seinen Möglichkeiten angepassten Lernen zu haben; um Schreiben, Lesen, Zählen zu lernen. Vier Jahre später zählten wir – und zwar die Tage.

Die Tage bis Anton diese Grundschule verlassen und zur fünften Klasse auf eine Förderschule mit Schwerpunkt Geistige Entwicklung wechseln könnte. Eine Schulform, die es eigentlich gar nicht mehr geben sollte. Wir waren froh, dass dem noch nicht so war.

Was war passiert?
   

Warum wollten wir Anton inzwischen lieber nicht mehr integrativ lernen lassen, sondern im Kreis anderer geistig behinderter Kinder? Nun, an den Mitschülern lag es nicht. Dusko, Mila, Boran, Lotte – eine bunte Truppe wie der Stadtteil war diese Klasse – und Anton als einziges Integrationskind mittendrin und voll dabei. Vier Jahre lang war er glücklich mit den Kindern seiner Klasse. Und er lernte von ihnen und sie von ihm. Was allerdings nicht stattfand, war eine adäquate Beschulung, geschweige denn ein Konzept, wie das passieren solle. Denn das ist das Problem, von dem die meisten Eltern von behinderten Kindern erst verzögert erfahren. Die Güte schulischer Inklusion steht und fällt mit einem individuellen Förderkonzept, das von motivierten Lehrkräften konsequent umgesetzt wird. In Antons Fall stand dieses Konzept monatelang unter der Überschrift „Erst mal ankommen“. Das wiederholte sich dann regelmäßig nach den Herbst-, Weihnachts-, März- oder Sommerferien. Während die sogenannten Regelkinder im Unterricht saßen, verbrachte Anton viele Stunden mit einem Ball auf dem Pausenhof (Sommer) oder im Schaukelraum (Winter). „Nur nicht überfordern“ schien die Herangehensweise zu sein. Stutzig machte uns irgendwann, dass Anton nicht nur seinen eigenen Namen falsch schrieb, sondern auch Worte, die ihm vor dem Schuleintritt wichtig waren – Mama, Papa, Eis, Oma, Opa, Hund ... Was war hier los?

Güte schulischer Inklusion steht und fällt mit individuellem Förderkonzept

Lehrerausfälle durch Krankheit oder Schwangerschaften sind nicht ungewöhnlich, begannen im Fall dieser Klasse allerdings direkt nach der Einschulung und zogen sich mit voller Wucht durch die Zeit. Irgendwann schöpften wir mit jeder personellen Veränderung sogar ein wenig Hoffnung. Indes: Es wurde nicht besser. Im Gegenteil. Neue Lehrer kamen, und die Situationen, in denen wir beispielsweise den Fachlehrer und den Sonderpädagogen am häufigsten antrafen, waren: gemeinsam rauchend, vor der Schule. Aus Verwunderung wurde Ärger, aus Ärger wurde Wut. Jedes Gespräch mit der Schulleitung endete mit Verständnis und Verbesserungsbeteuerungen.

Doch nicht nur Antons Entwicklung litt an dieser vermeintlichen Leuchtturm-Schule. Einer sehr pfiffigen Klassenkameradin, die während des dritten Schuljahres nach Schleswig-Holstein umzog, wurde dort der Leistungsstand einer Zweitklässlerin attestiert. Und von zu Beginn sechs sehr leistungsstarken Kindern in Klasse eins, konnten in Klassenstufe Vier gerade noch vier von 18 für das Gymnasium empfohlen werden. Das vor dem Hintergrund einer Ausstattung, von der andere Schulen träumen.

Anton, ein Einzelschicksal? Eher nicht. Andere Eltern machten ähnliche Erfahrungen. Und erst im Frühjahr wieder geriet die Schule in die Schlagzeilen, weil ein Erstklässler mit Down-Syndrom seinen Schultag allein im Nebenraum des Klassenraums verbringen sollte, weil er Probleme mit den Corona-Abstandsregeln hatte. Die Eltern meldeten das Kind ab, es wird künftig auf eine Förderschule gehen. Mit der Inklusion in Hamburg, so der Vater, habe er abgeschlossen.

Anton geht mittlerweile in die achte Klasse einer Förderschule in Bahrenfeld. Natürlich läuft auch dort nicht alles perfekt, aber Kompetenz und Motivation der Sonderpädagogen und Erzieher sind kein Vergleich zu seiner Grundschule. Dass die Schulbehörde Förderschulen für geistige Entwicklung deutlich weniger finanzielle Mittel für Therapien zur Verfügung stellt als einer Förderschule für körperliche Entwicklung, ist aber eines der Missverhältnisse, die behoben werden müssen.

Schule für behinderte Kinder – es bleibt in Hamburg noch viel zu tun.
   

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