Die dritte Impfung war entscheidend, so der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit im Interview
Der dritte Corona-Herbst steht Deutschland bevor. Das Infektionsschutzgesetz wurde weitgehend abgeschwächt, dennoch bleiben Maskenregelungen in Bahn und Bus bestehen. Die Gesellschaft beginnt, mit dem Virus zu leben, sagt der Hamburger Virologe Jonas Schmidt- Chanasit im Interview mit dem Hamburger Ärztemagazin.
Prof. Schmidt-Chanasit, tragen Sie im Alltag noch eine Maske?
Da, wo es gesetzlich vorgeschrieben ist, ja. Auch wenn das nicht immer überall sinnvoll ist. Und auf der Arbeit trage ich im Labor oft FFP2-Masken, das ist ja klar.
Haben Sie noch Angst vor einer Coronavirus-Infektion?
Ich bin geimpft und schätze die allgemeinen Lebens- und Gesundheitsrisiken für mich immer wieder ab. Das bringt auch mein Beruf als Arzt mit sich. Aufgrund der aktuell zirkulierenden Coronavirus-Varianten und der Impfungen habe ich keine Angst. Da hätte ich eher Angst unter einfachsten hygienischen Bedingungen in einem Ebola- oder Marburg-Virus-Ausbruch Patienten versorgen zu müssen.
Können wir also Entwarnung geben?
Entwarnung wäre das falsche Wort, vor allem, weil das gesamte Gesundheitssystem mit großen Problemen konfrontiert ist, vor allem in der Pflege, aber auch bei mir in der Diagnostik. Da ist SARS-CoV-2 ein Problem von vielen, aber sicherlich nicht das größte. Man muss also den Pflegenotstand dringend angehen, weil die Be-und Überlastung im Gesundheitswesen grundlegend damit in Zusammenhang steht.
Müssen wir so aggressive Virusvarianten wie die Ursprungsvariante nicht mehr fürchten?
Es geht dabei immer um die Frage der Wahrscheinlichkeit. Wenn wir in der Öffentlichkeit aber zu oft von den sehr unwahrscheinlichen Varianten mit einer viel höheren Virulenz reden, dann ist das keine adäquate Wissenschaftskommunikation. Die neue Variante braucht einen Fitnessvorteil. Sie muss sich also gegen die aktuell zirkulierenden Omikron-BA4- und 5-Varianten durchsetzen. Wir haben aufgrund der Impfungen und Infektionen eine hohe Grundimmunisierung in der Bevölkerung erreicht und daher ist es unwahrscheinlich, dass eine neue pandemische Variante entsteht, die diese breite Grundimmunität vollständig umgeht. Wahrscheinlicher ist hingegen, dass Varianten entstehen, die diese Immunität teilweise umgehen können.
Warum müssen wir im Bus und Zug Maske tragen, im Flieger nicht?
Das ist eine politische normative Entscheidung, die aus wissenschaftlicher Sicht aber nicht zu begründen ist. Denn auch im Flugzeug können ja Übertragungen im Nahbereich über die Tröpfchen stattfinden, auch wenn dort HEPA-Filter verbaut sind. Andere argumentieren, dass man mit diesen Maßnahmen jede Infektion verhindern will. Aber das war nie eine realistische Option, wie wir ja gerade in China sehen können. Die meisten Infektionen finden sowieso im familiären Umfeld statt, also dort, wo der Staat keine Maß- nahmen einführen kann.
Wie gut sind wir als Bevölkerung derzeit geschützt?
Gut, denn entscheidend ist das hohe Niveau der Grundimmunität in der Bevölkerung. Wir haben alles getan, um dies zu erreichen: Wir haben einen Großteil der Bevölkerung geimpft, der Rest ist genesen. Die Anzahl derer, die weder geimpft noch genesen sind, ist verschwindend gering. Diese millionenfach durchgemachten Infektionen bei Geimpften und Genesenen können einen kurzzeitigen Schutz vor Re-Infektion hervorrufen und schützen wahrscheinlich mehrere Jahre zuverlässig vor schwerer Erkrankung und Tod.
Sind wir auf dem Weg, Corona wie Grippewellen zu werten?
Das Virus wird nicht mehr verschwinden und wir werden mit ihm leben müssen. Wir brauchen aber genaue und schnell verfügbare Daten, um im Ernstfall bei besorgniserregenden Varianten schnell reagieren zu können.
Sollte man sich jährlich impfen lassen?
Nein, man sollte den Empfehlungen der STIKO folgen. Die STIKO ist derzeit weit davon entfernt, jährliche Impfungen für die Gesamtbevölkerung zu empfehlen. Für alle gesunden unter 60-Jährigen ist das Thema „Corona-Virus- Impfung“ mit der dritten Impfung abgeschlossen, zumindest was die Impfungen mit den jetzt verfügbaren mRNA-Impfstoffen betrifft. Denn wir sehen ja alle, wie viele Infektionen auch bei Geimpften jetzt stattgefunden haben. Dadurch hat man eine sogenannte hybride Immunität. Durch die Infektion werden auch verstärkt Antikörper in den Schleimhäuten nachweisbar und dadurch ist man sogar für einen gewissen Zeitraum vor Ansteckung geschützt. Detlev Karg