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Eine Betrachtung von Christiane Schuster aus der DMH-Patientenberatung der Deutschen Muskelschwund-Hilfe

Deutsche Muskelschwund-Hilfe Hamburg: Wie sieht es mit der Gleichberechtigung aus?

Manche behinderte Menschen haben immer noch das Gefühl, dass sie von ihren Mitmenschen für weniger intelligent oder geistig minderbemittelt gehalten werden. Foto: iStock-simonkr

In Deutschland gibt es rund 9,6 Mio. Menschen mit einer Behinderung. Laut UN-Behindertenrechtskonvention genießen sie „in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit“. Wir haben Behindertenbeauftragte, wir haben das Bundesteilhabegesetz, das Behindertengleichstellungsgesetz und Aktionspläne auf Landesebene, die allesamt die Position behinderter Menschen in Deutschland stärken sollen. Doch wie sieht es aus mit der Gleichberechtigung, wenn wir mal die Gesetzestexte beiseitelegen? Was erleben Menschen mit einer Behinderung jeden Tag auf der Straße?

Menschen im Rollstuhl, eine Erfahrung

„Wenn ich mit meinem E-Rolli irgendwo aufkreuze, wo man mich nicht kennt, werde ich oft übergangen“, berichtet Alexander P. aus Hamburg. „So, als wäre ich nicht imstande, für mich selbst zu sprechen. Oder man redet betont langsam und überdeutlich mit mir, als hätte ich was mit dem Kopf und nicht mit den Muskeln.“ Alex ist ein kluger junger Mann, der Philosophie studiert und Lektor werden möchte. Aufgrund seiner Muskelerkrankung ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. „Dass man oft von Menschen für dumm gehalten wird, die eigentlich selbst nicht gerade die Hellsten sind, bloß weil man im Rollstuhl sitzt, hat schon was von Satire“, findet Alex. Halten wir Menschen im Rollstuhl also tatsächlich automatisch für weniger intelligent oder gar für geistig behindert? Alex ist kein Einzelfall. Das Team der Deutschen Muskelschwund-Hilfe (DMH) kennt Aussagen wie diese auch von anderen. Ist es womöglich unsere eigene mentale Einstellung, die dafür verantwortlich ist, dass wir in Sachen Inklusion und Teilhabe noch lange nicht dort sind, wo wir gerne wären?

Hehre Absichten und schöne Worte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Menschen mit einer Behinderung in allen Lebensbereichen immer noch benachteiligt werden. Wie sonst ist es zu erklären, dass sie bei der Impfpriorisierung zunächst vergessen und erst auf Betreiben von Patientenorganisationen in Impfgruppe 2 hochgestuft wurden? Oder das tragische Unglück in Sinzig, wo im Juli zwölf Menschen in ihrem Behindertenwohnheim ertranken, weil eine einzige Nachtwache zwar viele, aber eben nicht alle retten konnte? Ob es nun ein unzureichendes Notfallkonzept war oder ein furchtbares Unglück, viel mehr als eine Randnotiz war es den Medien nicht wert. Dazu Dirk Rosenkranz, Vorstandsvorsitzender der DMH: „Was ich nach dem Unglück vermisst habe, war eine öffentliche Diskussion darüber, wie wir unsere behinderten Mitmenschen behandeln und wie wir sie besser schützen können.“

Auch Alex hat sich dazu Gedanken gemacht. „Mir ist schon klar, dass es nicht böser Wille oder Ignoranz ist. Es ist die bloße Unkenntnis über das Denken und Fühlen von Menschen mit einer Behinderung.“ Vielleicht wird sich das ändern, wenn die jetzige Schülergeneration erwachsen wird. Kinder mit behinderten Klassenkamerad*innen haben viel weniger Berührungsängste und lernen, die Dinge auch aus deren Sicht zu betrachten. Das jedenfalls berichten die FSJler*innen, die bei der DMH als Schulassistenz für muskelkranke Kinder eingesetzt werden. Gemeinsames Aufwachsen in einer Klassengemeinschaft ist offenbar der beste Garant für gelebte Inklusion.

Deutsche Muskelschwund-Hilfe

Die DMH ist eine spendenfinanzierte Patientenorganisation, die Menschen mit einer unheilbaren neuromuskulären Erkrankung auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben begleitet. Die Mitarbeiter*innen kennen Muskelerkrankungen aus eigener Erfahrung. Beratung, Hilfe bei Widersprüchen, Bereitstellung von Schulbegleiter*innen und Selbsthilfegruppen gehören ebenso zum Tätigkeitsfeld der DMH wie gesellschaftspolitische Stellungnahmen zu Themen wie Teilhabe, Inklusion und Barrierefreiheit. Das Angebot der DMH ist kostenfrei.

Weitere Infos: Tel. 32 32 31-0, www.muskelschwund.de.
Spendenkonto: DE66 2005 0550 1230 1250 05

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